Info-Broschüre Erinnerung verbindet Oder-Warthe

Der Begegnungs- und Entdeckungs- raum ist die Epoche des Wiederauf- baus in friedlicher Nachbarschaft. Es ist aber auch die Epoche der sozia- listischen Diktatur, des Kalten Krie- ges, der politischen Wende. Es ist schließlich die Epoche der Europäi- schen Union mit offenen Grenzen, wirtschaftlichen Verflechtungen und einer Nachbarschaft in gegenseiti- gem Respekt und mit gegenseitigen Vorteilen. Die Epoche des Schicksalsraums hat die Oder-Warthe Region nach- haltig vernarbt und physisch ent- zweit, in der Epoche des Begeg- nungs- und Entdeckungsraums wurden nun erinnerungskulturelle Narrative verpflanzt, die bis heute Bestand haben. So erfuhr die gemeinsame Ge- schichte der Region einen nahezu vollständigen Neustart durch den radikalen Bevölkerungsaustausch östlich der Oder. Die zwangsmig- rierte Bevölkerung des ehemaligen Ostpolens brachte ihre eigene Ge- schichte, Traditionen und Sprache mit. Letzteres schuf neben der neu- en physischen Grenze an der Oder zusätzlich eine Sprachbarriere, was die Distanz zwischen den Bewoh- nern vergrößerte und einen grenz- übergreifenden Austausch verhin- derte. Erinnerungskulturen begannen sich getrennt voneinander zu entwi- ckeln. Die damalige DDR und die Volks- republik Polen entwickelten sich einerseits getrennt, andererseits als „sozialistische Bruderstaaten“ unter sowjetischer Ägide. Parallel formier- te sich die westlich/amerikanisch geprägte kapitalistische Bundesre- publik, inklusive West-Berlin. So verpflanzten sich zwei Sieger- mächte (USA/UdSSR) mit grund- legend verschiedenen Ideologien (Kapitalismus/Sozialismus) auf deut- schem Boden (BRD/Westberlin und DDR), die im Kalten Krieg beinahe eskalierten. Entsprechend ideologisch beein- flusst wurde auch die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges in der BRD, der DDR und der Volksrepub- lik Polen. Es entwickelten und ver- stetigten sich sehr unterschiedliche Erinnerungskulturen und Sichtwei- sen, die teilweise bis heute Bestand haben. In diese Gemengelage musste sich die Oder-Warthe Region erst einmal einfinden und schrieb so eine neue Geschichte. So lebten die ehe- mals ostpolnischen Bürger teilwei- se jahrelang auf gepackten Koffern oder errichteten ihren Altar in einer Kneipe statt in der alten Dorfkirche, weil sie davon ausgingen, dass „die Deutschen bald zurückkommen“. Kriegsdenkmäler wurden errichtet und Kriegsgräberstätten angelegt, auf denen bis zum heutigen Tag noch zugebettet wird. Museen er- zählen heldenhafte Geschichten der Befreiung vom NS-Regime und präsentieren Kriegsgerät der Roten Armee und der Polnischen Armee. Im Zuge des Kalten Krieges ent- standen Militär-, Zivil- und Regie- rungs-Bunkeranlagen zum Schutz vor Atomschlägen bzw. zur Koordi- nierung und Ausführung derselben. Wiederum entstand ein Netz an Ein- richtungen zur Kontrolle der Bevöl- kerung und zur Sicherung der Dik- tatur, z.B. Jugendhaftanstalten und Werkhöfe, Militärgefängnisse und Standorte der Staatssicherheit. Begleitet von Versorgungsmängeln und Verfolgung Andersdenkender entwickelte sich beiderseits der Grenze versteckter und offener Wi- dertand gegen das sozialistische System sowie der Drang nach ge- Begegnungs- und Entdeckungsraum

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